„Ihr müsst euch von morgens bis abends nur anschreien“

glass-11340_1920Ule Hansen bei den Berliner Wühlmäusen – Ein Gastbeitrag vom Schreibhaindozenten und Autor Jordan T. Wegberg

Neuntöter ist einer der spannendsten Thriller, die ich in diesem Jahr gelesen habe – die abgründige Ermittlerin Emma Carow, die rituell inszenierten Morde, die sehr authentisch dargestellte Polizeiarbeit, die Echtzeit-Erzählweise und natürlich der wunderbar liebevoll in Szene gesetzte Schauplatz Berlin haben mich gefesselt und fasziniert.

Als ich daher zufällig entdeckte, dass Ule Hansen – aka Astrid Ule und Eric T. Hansen, also die beiden Autoren des Romans – bei den Berliner Wühlmäusen auftreten würden, war meine Freude groß. Übertroffen wurde sie nur von meiner Enttäuschung beim Blick in den Terminkalender. An diesem Samstag war ich nämlich als Dozent in der Autorenschule Schreibhain eingeteilt.

Wenige Tage später schickte Tanja Steinlechner vom Schreibhain eine Rundmail: Wir hätten die Möglichkeit, zu einem vergünstigten Preis an der Lesung von Ule Hansen teilzunehmen, dürften dafür ausnahmsweise vorzeitig vom Unterricht aufbrechen und könnten den Autoren im Anschluss an die Veranstaltung sogar noch einige Frage stellen … Gemeinsam mit sechs Autorenschüler(innen) aus verschiedenen Ausbildungsjahrgängen nahm ich die Chance nur zu gerne wahr.

Hier lest Ihr weiter auf Jordans Blog: http://tawegberg.blogspot.de/

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Ule Hansen: Neuntöter

Neuntöter
Neuntöter

Hochspannung und sprachliche Prägnanz

Emma Carow, eine traumatisierte Fallyanalystin, will Abteilungsleiterin werden. Sie konkurriert mit ihrem neuen Kollegen Felix Schreiner um die Beförderung. Aber nicht nur deshalb ist die Aufklärung des jüngsten Falls für sie von großer Bedeutung.

Drei in Panzertape gewickelte Leichen baumeln in schwindelerregender Höhe eines Baugerüsts, das sich als Haus tarnt und die Geschäftigkeit des Potsdamer Platz konterkariert. Grabbeigaben, sogenannte unpassende Objekte, die Anordnung der Leichen und Emmas untrügliches Gespür für die Tatorte legen eine Mordserie nahe. Weitere Opfer könnten noch am Leben sein.

Emmas Erinnerungen drängen an die Oberfläche, denn ihr Peiniger Uwe ist aus der Haft entlassen worden und hat ein Buch geschrieben, in dem er sich öffentlich zu seiner Tat bekennt und Läuterung gelobt. Verdrängte Bilder bannt Emma durch ihre Jagd nach dem Bösen. Eine Aufgabe, die weit über ihren Beruf hinausgeht, genau wie ihre eigenmächtige Ermittlungen im Umfeld von Urbexern, Pädophilen und einer Sekte.

Emma verstrickt sich mehr und mehr in die Aufklärung des Falls, der zur Besessenheit wird über der sie sogar die rar gesäten Vertrauten, ihren Mentor Lutz, ihre Schwester und das Team der „Puppenkiste“, wie sie ihr Büro nennt, zurückweist. So wird sie selbst zum Zielobjekt. Denn was sie übersehen hat: Sie passt hervorragend ins Opferschema.

Neuntöter überzeugt nicht nur durch Hochspannung, eine fesselnde Protagonistin, deren Dilemma und herausragendes Gespür für Serientäter oder etwa durch die Urbexerthematik, sondern auch und vor allem durch die Sprache, die sich die Form des Thrillers zunutze macht. Sätze hämmern, Rhythmen stanzen sich ins Leserbewusstsein, Stakkato wechselt mit verschachteltem Satzbau. Die Lösung scheint auf der Hand zu liegen – zumindest für Emma – und entzieht den Lesern, doch wieder und wieder bis wir nicht mehr entrinnen können. So auf uns selbst zurückgeworfen, bleibt uns nur Hoffnung und Vertrauen, das wir zwischen Halluzination und Traum setzen müssen, wollen wir mit Emma überleben.

Ich empfehle das Debüt des Autorenduos Ule Hansen uneingeschränkt allen Thriller- und Krimifans, die Herausforderungen lieben, die sich nicht abschrecken lassen durch detaillierte Beschreibungen, die solcherlei Könnerschaft als Geschenk betrachten und all Jenen, die sprachliche Prägnanz zu schätzen wissen.

 

Hansen, Ule: Neuntöter. München, 2016.

http://www.randomhouse.de/Paperback/Neuntoeter/Ule-Hansen/e463132.rhd

http://ulehansen.com/